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| 13.01.2016
Gaildorf begrüßt mit der
Berliner Künstlerin Gisela Wrede neue Stadtmalerin
Die
Wohnung im Alten Schloss ist seit Montag bezogen und das Atelier auch schon in
Beschlag genommen. Am Dienstag stellte sich Gisela Wrede, die 16. Stadtmalerin,
im Gaildorfer Rathaus vor. Sie fühle sich absolut wohl hier in Gaildorf, erklärte Gisela Wrede bei ihrem
Antrittsbesuch im Gaildorfer Rathaus. Die weiten Räume ihres neuen Domizils im
Alten Schloss, die handgemachten Möbel, die Atmosphäre - bei der Beschreibung
geriet die neue Stadtmalerin beinahe ins Schwärmen. Im Moment sei sie noch dabei, alles zu erkunden, sagte die Berlinerin, doch
sie könne sich sehr gut vorstellen, in dieser inspirierenden Umgebung zu
arbeiten. Bürgermeister Frank Zimmermann hieß sie gestern willkommen - und ließ
gleich durchblicken, welche Erwartungen die Stadt mit dem Jahr ihrer Anwesenheit
verknüpft. Dabei verwies er auf die Wände im Besprechungszimmer, die mit
markanten Bildern ihrer Vorgängerinnen geschmückt sind und deren Motive einen
Bezug zur Stadt herstellen. Der anstehende Pferdemarkt eigne sich bestens, riet
er, um anschließend Ideen künstlerisch in die Tat umzusetzen. Künstlerische Ausflüge hatte die neue Stadtmalerin in der Vergangenheit auch
schon nach Frankreich und Belgien unternommen. Jetzt hat sie die Gelegenheit,
sich im Süden der Republik künstlerisch auszuleben und ihr Talent unter Beweis
zu stellen. Sie wird malen und zeichnen, großformatig und in Richtung neue
Abstraktion. Landschaften, Orte, Räume, eben alles, was sie sieht und ihr so
begegnet. Und sie könne sich vorstellen, mit einer Gruppe Interessierter in der
Stadt unterwegs zu sein, um Ansichten zu zeichnen. Oder auch mit Schülern einen
Workshop zu gestalten.
Diesbezüglich hatte Bürgermeister Zimmermann nämlich den Wunsch geäußert, sie
möge nicht hinter verschlossenen Türen arbeiten, sondern auf die Bevölkerung
zuzugehen und diese mit ins Boot nehmen. Er regte einen Tag der offenen Tür im
Atelier an, und im Rathaus oder sonst wo in der Stadt sollte später einmal ein
Bild oder Kunstobjekt an sie erinnern. Möglichkeiten zur Präsentation böten sich
auch in der Kulturkneipe Häberlen oder im neuen Catering-Bereich des Alten
Schlosses. Und nicht zuletzt sei die IG Kunst mit ihrer Galerie im Schloss sehr
aktiv und zum Austausch bereit.
Tapetenwechsel als Experiment:
Zu Besuch bei Gaildorfs neuer Stadtmalerin
Perspektivwechsel in Gaildorf: Die Berliner Künstlerin Gisela Wrede hat als 16.
Gaildorfer Stadtmalerin Wohnung und Atelier im Alten Schloss bezogen. Für ein
Jahr wird sie dort leben und arbeiten.
Man
kann sich das mittlerweile prima merken. Seit 1997 gibt's das Gaildorfer
Stadtmaler-Stipendium, weil's aber mit dem Wechsel nicht immer geklappt hat und
Wohnung und Atelier im Alten Schloss auch mal verwaist standen, hat sich die
Reihe mit der Jahreszahl synchronisiert.
Nun, im Jahr 2016, hat also die 16. Stadtmalerin das Schloss bezogen. Sie heißt
Gisela Wrede, kommt aus Berlin und hat sich die Stadt der Schenken gut
angeschaut, ehe sie sich entschied, ihre Bewerbung einzureichen. Ihr war,
vereinfacht ausgedrückt, nach Luftveränderung: neue Umgebung, neue Leute, neue
Impulse, Neugier. Dieses Jahr will sie auskosten - Eintauchen ins Unbekannte,
sich treiben lassen, 24 Stunden am Tag zeichnen und malen - "es ist", sagt
Gisela Wrede, "der Idealzustand". Auch: Ein Experiment, das sie verändern wird.
Abgesehen von einem Erasmus-Aufenthalt in Pau in Südfrankreich während ihres
Studiums hat Gisela Wrede keine Erfahrung mit Stipendien, was sie von vielen
ihrer Vorgänger im Alten Schloss unterscheidet. Und sie hat auch keine konkreten
Pläne, als sie nach Gaildorf kommt. Unvorbereitet sein, das ist das Konzept.
Kein Stadtplan, keine Bücher. Die neue Umgebung wird vor allem visuell erkundet:
Farben, Formen, Komposition.
Erste Zeichnungen zeigen, was sie sah, als sie erstmals aus dem Fenster der
Stadtmalerwohnung im Alten Schloss schaute. "Ich versetze mich in einen Zustand
der Unschuld."
Es
gibt bereits ein Morgenritual: Wandern ohne Plan, zeichnen, wie's kommt. So
aber, wie Gisela Wrede die Stadt erkundet und in sich aufnimmt, so dringt die
Stadt auch in ihren Kopf ein. Informationspartikel setzen sich fest, verknüpfen
sich zur Irgendwie-Vorstellung, zu ersten schrägen Gaildorf-Fantasien, die durch
den permanenten Abgleich mit Fakten und Erfahrungen täglich tatsächlicher
werden.
Weil ihr Bild in der Zeitung war, wird Gisela Wrede auf der Straße angesprochen.
Sie besucht den Stammtisch im Kaffeehaus am Schloss und versucht die Schoten zu
verstehen, die da in einem ihr bisher unbekannten Dialekt auf sie einprasseln:
witzig, surreal, vermutlich, sie grinst, auch schmutzig. Bei der Kulturschmiede
im Häberlen hat sie den Boogie- Woogie-Pianisten Nico Brina erlebt und "live"
gezeichnet. Und dann ist Pferdemarkt. Flutwelle. Gisela Wrede fragt sich, ob sie
unauffällig-ungestört zeichnen kann im Trubel.
Die
Stadtmaler wirken in Gaildorf - im Wortsinn. Sie prägen das Jahr. Und wie jede
neue Idee hat auch die des Künstlers Diethelm Reichart, jährlich einen
Kunstschaffenden in der Stadt zu beherbergen, zunächst für Unordnung gesorgt.
Der
erste "schuf" gar nicht, sondern lud Künstlerfreunde ein zur Straßengalerie. Das
"Bett", das damals plötzlich auf dem Marktplatz stand, ist bis heute legendär.
Weil der örtliche Kunstverein, die IG Kunst, sein Spielfeld, das
Ausstellungswesen, okkupiert sah und etwas giftig reagierte, griff der damalige
Bürgermeister Kurt Engel ein. Die Stadt übernahm das Stipendium, sorgte für
Ordnung auf dem Kunstspielplatz, konsolidierte. Es war eine schöne Entscheidung.
Gisela Wrede hat sich Gaildorf angeguckt, ehe sie sich zur Bewerbung entschied -
es war übrigens die einzige, die sie abgeschickt hat. "Du steigst am Bahnhof
aus", erzählt sie, "du siehst keinen Menschen, nur eine geschlossene Kneipe mit
Fußball-Devotionalien an den Fenstern. Du läufst eine lange Straße entlang bis
du zum Marktplatz kommst, du fragst im Reisebüro nach einer
Übernachtungsmöglichkeit, es wird telefoniert und eine halbe Minute später kommt
der Löwenwirt Dieter Rieg ums Eck gestochen."
Sie
blieb zwei Nächte, schaute die Stadt an, fand nicht den Weg zum Kernerturm,
fotografierte und wurde von Nikolaos Sakellariou, der damals hoffte, Gaildorfs
nächster Bürgermeister zu werden, um ihre Stimme gebeten. Sie traf zufällig
Heike Walter, die sie von Berlin kennt - einmal im Jahr läuft man sich dort über
den Weg, sagt Gisela Wrede. Sie verguckte sich ins Fachwerk. Sie bestückte eine
Seite mit Gaildorf-Fotos, auf denen kein Mensch zu sehen ist, legte sie zu ihrer
Bewerbungsmappe und schickte sie ab. Die Jury war erbaut.
Geboren ist Gisela Wrede in München, aufgewachsen in Aschaffenburg und gemalt
hat sie immer. Sie ging nach Berlin und studierte Germanistik und
Theaterwissenschaften an der Freien Universität. Sie wechselte zur Universität
nach Bremen, belegte das Fach Visuelle Kommunikation und nahm parallel ein
Kunststudium bei Wolfgang Schmitz an der Bremer Hochschule für Bildende Künste
auf. Die Kunst rückte nach vorne: Seit 2001 lebt und arbeitet Gisela Wrede als
freischaffende Künstlerin in Berlin. Ihren Lebensunterhalt bestreitet sie mit
ihrer Kunst, als Texterin für Galerien und als Verkäuferin von Künstlerbedarf.
Vertreten wird sie von der 2003 gegründeten "a.i.p.galerie".
Zeichnen ist Gisela Wredes Art, sich ihre Umgebung anzueignen. Ihre Malerei ist
abstrakt, ohne unmittelbaren Bezug zu ihrer Umgebung, die dennoch in ihre Bilder
hineinwirkt: Die Bild-Komposition, der Rhythmus der Farben und Formen,
entstammen nicht dem Nichts. Zwei großformatige Malereien hat Gisela Wrede
bereits fertiggestellt. Zwei kleinere Formate lehnen an der Wand - "so lange,
bis sie mir sagen, dass sie fertig sind". Einstweilen zeichnet sie den
Fotografen.
Zeichnen, Malen, Klexographie:
Tag der offenen Tür bei Stadtmalerin Gisela Wrede
Seit Januar lebt und arbeitet die Berliner Künstlerin Gisela Wrede im Alten
Schloss in Gaildorf. Am kommenden Wochenende öffnet die 16. Gaildorfer
Stadtmalerin ihr Atelier für das Publikum.
„Manche Leute glauben, eine Zeichnung müsse wie eine
Fotografie sein“, sagt Gisela Wrede und blättert in ihrem Zeichenbüchlein. Ihre
Bleistift- und Ölkreidezeichnungen sind eher Skizzen und Studien, je reduzierter
der Strich, umso besser. Es geht ihr auch nicht um die möglichst genaue
Abbildung eines Motivs, sondern um das Festhalten des Momentes. Wrede spielt
auch und experimentiert, insbesondere wenn sie Landschaften zeichnet. Diese
Zeichnungen enthalten Auslassungen; mitunter kippt auch die Perspektive, weil
entfernte Motive kräftiger gezeichnet sind als der Bildvordergrund. Die Zeichnungen sind der Humus, aus denen Gisela Wredes
Gemälde wachsen. Die aus Aschaffenburg stammende, in Berlin lebende Künstlerin
malt abstrakt: frei und ungebunden in der Wahl von Farben und Formen und ohne
abbildende Absicht. Dennoch erzählen ihre Bilder von ihrem Aufenthalt in
Gaildorf und auch von ihr selbst. Sie verwende neue Farben, sagt Gisela Wrede, sie entdecke in
ihren Bildern neue Formen, wiederkehrende Elemente, die sie bisher nicht gemalt
habe, radikale Reduktionen – manche Bilder bestehen nur aus wenigen Flächen. Die
vom Fachwerk geprägte Architektur, die Art und Weise, wie Gaildorf in die
Landschaft hineinwachse, das alles wirke sich auf ihre Malerei aus. Sie werde
diese Verbindung zwischen Zeichnung und Malerei auch durch die Titel
verdeutlichen, sagt Wrede. Dass sie, statt rein abstrakt zu malen, vom
Gegenständlichen abstrahiere, sei durchaus auch für sie etwas Neues. Auch der Geist von Justinus Kerner spukt in einigen ihrer
Bilder. Gisela Wrede war dabei, als kürzlich der Bronzeguss des Kerner-Kopfes
enthüllt wurde, den ihr Künstlerkollege Dirk Pokoj geschaffen hat. Der Arzt und
Dichter Justinus Kerner (1786 – 1862), der einst auch in Gaildorf lebte,
hat die Klexographie erfunden, den Klappdruck, mit dem aus Tintenflecken
vielsagende Bilder gepresst werden und an dem sich nun auch die Stadtmalerin
versucht. Lange vor dem Rorschachtest hat Kerner diese „Urbilder“ entdeckt und
gleichsam vorausschauend als Fenster zur Seele erkannt. Gedichtet hat er auch
dazu: „Aus Dintenflecken ganz gering / Entstand der schöne Schmetterling / Zu
solcher Wandlung ich empfehle / Gott meine fleckenvolle Seele“. Gisela Wrede bereitet einen Tag der offenen Tür in ihrem
Atelier vor.
Skizzen hoch vom Turmfenster - Gaildorfer Stadtmalerin beeindruckt Besucher
Rund 40 Kunstfreunde nutzten das vergangene Wochenende für einen Besuch bei
Gisela Wrede: Die 16. Gaildorfer Stadtmalerin hatte ihr Atelier geöffnet.
IRMTRAUD KOCH | 06.05.2016 Im Laufe der Jahre ist das Stadtmaler-Atelier im Alten
Schloss selbst zur Sehenswürdigkeit mutiert: Herabtropfende Farben haben
Fußboden und Mobiliar zu einem pointillistischen Gesamtkunstwerk vereinigt. In
schönem Kontrast dazu stehen die weißgekalkten Wände und die seit 2013 – der Ära
Anastasiya Nesterovas – mit Buttermilch weißmattierten Fenster, die die
Außenwelt optisch aussperren und – auch dank des durch sie gefilterten Lichtes –
den Räumen etwas in sich Gekehrtes, Stilles verleihen. Passender Rahmen für die maßvoll an den Wänden verteilten
Arbeiten Gisela Wredes: Farbige Skizzen mit Ölkreide, dazu bis über 1,5
Quadratmeter große Ölgemälde. Den Zusammenhang zwischen Skizzen und Gemälden
wird die Künstlerin ihren Besuchern noch erklären. Der Rundgang beginnt jedoch
bei einem Tisch mit Narrenporträts – blitzschnelle Tusche-Skizzen vom letzten
Fasching. Gemalt hat Gisela Wrede schon immer abstrakt. Dabei ging es
ihr nie um die Darstellung von Emotionen, sagt sie, sondern um – in ihrer
Vorstellung nicht bis zum Letzten ausformulierte – Visionen von Flächen, Formen
und Farben und deren Ausbalancieren auf der Leinwand. Was nicht immer sofort zu
ihrer Zufriedenheit gelingt: „Nicht selten gehen da erst fünf Farbschichten
drauf und auch wieder runter.“ In Gaildorf fing sie nun an – so weit ihr Blick von den
Fenstern ihrer Turmwohnung aus reicht – Aspekte des Reellen zu skizzieren und
daraus ihre Abstrakten zu entwickeln. Zum Skizzieren verwendet sie die Rückseite
von Zielscheibenkartons von 17 mal 17 Zentimeter, die sie in Stapeln beim
benachbarten Händler erworben und im Turmdomizil auf allen Fensterbänken
gelagert hat. Wie der Weg zur Skizze und von der Skizze zum Gemälde
verlaufen kann, erläutert Gisela Wrede ihren Besuchern anhand von Beispielen.
Unter anderem sei einmal, gerade als sie morgens um halb Fünf aus dem Fenster
schaute, die Beleuchtung im Schaufenster der Metzgerei Wieland angegangen. Das
habe sie gezeichnet. Die Künstlerin zeigt die entsprechende Skizze, auf der sie
einen horizontalen rötlichen Lichtstreif im Dunkel spärlicher Gebäudeumrisse
festgehalten hat. Und sie zeigt das Ölbild, in dem eben dieses Motiv seinen
Niederschlag fand. Ein anderes Beispiel ist das große Kirgel-Gemälde, dem ein
ganzer Prozess skizzenhaften Metamorphosierens vorausging. Die Künstlerin betont
jedoch, dass sie auch noch andere Arbeitspläne habe: Bei besserem Wetter wolle
sie mit einem ihrer Skizzenbücher
per Rad und zu Fuß den Wald erkunden, der ihr von ihrer hohen Warte aus am
Horizont beinahe allgegenwärtig erscheine.
16. Stadtmalerin Gisela Wrede
stellt in der Kulturschmiede Häberlen aus
„Hier“ nennt Gisela Wrede ihre Ausstellung in der Kulturschmiede, in der sie an
Hand von Zeichnungen die Zwischenbilanz zieht von ihren protokollarischen
Studien über Gaildorf Gaildorf sei für sie eine Art Mikrokosmos, in dem sie selbst mitagiere,
stellt die für ein Jahr aus Berlin zugereiste 16. Stadtmalerin Gisela Wrede
fest. Gerade weil es hier weniger kulturelle Möglichkeiten gebe, erlebe sie für
sie Ungewöhnliches und Bewusstseinserweiterndes: Gisela Wrede nimmt an vielen
Veranstaltungen rund um Gaildorf teil und protokolliert zeichnend, was sie
sieht. In ihrer Ausstellung „Hier“ zeigt sie, in großen Sammelrahmen thematisch
geordnet, eine Auswahl aus ihren wohl hunderten in Gaildorf entstandenen
Zeichnungen in Ölkreide, Bleistift und Tusche mit Feder sowie Japanpinsel. Ihre abstrakten Bilder in Öl brachte sie, bis auf ein kleineres rundes
Gemälde, nicht mit. Und so konnte bei der Vernissage Martin Zecha angesichts der
Skizzen von Reellem reinen Herzens mit Don McLean singen: „Now I understand what
you tried to say to me“, zu deutsch: „Jetzt verstehe ich, was du mir sagen
wolltest“. Dazu griff er – notabene gemeinsam mit der Künstlerin, die ein
wahres Multitalent ist – kundig in die Saiten seiner Gitarre, bevor er ihr in
Prosa und mit Sachverstand Elogen machte. Vor allem Wredes farbige Skizzen in Ölkreide als Fensterblicke aus ihrer
Turmwohnung haben es Zecha angetan: Auf der Rückseite von beigen
Schießscheibenkartons (beige ermöglicht das Setzen weißer Akzente) hat die
Stadtmalerin, mit Reduktion experimentierend und mit Umkehrung der Perspektive
spielend, das alte Rathaus und andere Häuserfronten rund um den Marktplatz
gezeichnet, dazu die evangelische Kirche, das Frasch-Mausoleum und diverse
Kirgel-Landschaften. In anderen Rahmen gruppierte die Künstlerin blitzschnell mit Tusche und
Bleistift eingefangene Porträt-Skizzen und Momente: von Masken auf der
Fichtenberger Weiberfasnet, Konzerten im Wurmbrandsaal und Auftritten von Bands
in der Kulturschmiede. Unter dem Titel „Gaildorfer Politik und Festkultur“
vereinte sie Kopfstudien, die sie während Stadtratssitzungen und der
Wirtschaftsmesse von Beteiligten angefertigt hat. Und – schneller geht’s nicht –
auf dem Ottendorf-Eutendorf-Fest fing sie per Japanpinsel sogar fliegende
Bungeespringer ein. Bei der Zeichnung muss, da im Gegensatz zur Malerei nicht korrigiert werden
kann, jeder Strich sitzen. Wrede erklärt dazu: „Zeichnen ist ein unmittelbarer
Akt und daher für den Betrachter stärker nachvollziehbar. Linien sieht man an,
ob sie schnell oder langsam gezogen wurden. Dazu kommt: Weicher Bleistift gibt
Skizzen einen anderen Charakter mit als feinlinige Tuschestriche.“ Auch zwei Klecksografien enthält die Ausstellung, eine Hommage an Justinus
Kerner, der, als er beinahe erblindet war, dank häufiger „Tintensäue“ – zunächst
unbeabsichtigte Kleckse auf dem Papier, die er als Buch veröffentlichte –
zum Erfinder der Klecksografien wurde. Das kleine, abstrakte Ölgemälde soll – so Zecha – den Appetit auf die
Abschiedsausstellung Wredes am 20. November anregen. In anderer Hinsicht darf
man ebenso gespannt sein: Nicht nur mit Bildern, auch mit Texten hat die
vielseitige Künstlerin ihr Jahr in Gaildorf protokolliert.
Auf der Suche nach Balance
Die Gaildorfer Stadtmaler arbeiten ein Jahr lang für die Stadt – und für sich.
Aktuell berichtet Gisela Wrede über sich, ihr Leben und ihre Kunst.
Ihre Werke standen im Mittelpunkt. In einer Präsentation
zeigte Gisela Wrede am Montagabend eine Vielzahl von Aufnahmen ihrer Zeichnungen
und Gemälde. Sie veranschaulichen einen der beiden Arbeitsschwerpunkte, die sie
sich gesetzt hat. Sie malt abstrakt und sie zeichnet konkret. In der Malerei „versuche ich auf dem Bild eine Balance zu finden“, erläutert
die Künstlerin. „Manchmal habe ich einen gegenständlichen Anlass, beispielsweise
den Kirgel, den ich sehe, wenn ich aus dem Fenster schaue. So entstehen
Landschaftsassoziationen. Dann male ich abstrahierend.“ Protokolle einer Recherche In ihrer abstrakten Arbeit versucht sie, eine eigene
Bildsprache zu finden. Die gegenwärtigen Werke „sind Protokolle einer Recherche,
Befragungen des Mittels“. Dabei experimentiert die Malerin mit akkurat gezogenen
Kanten, lasierend aufgetragener oder tropfender Farbe oder überträgt den Effekt
des Überdruckens bei Holz- und Linolschnitten. Wie viel kann man weglassen? Wie
wenig Farbe braucht das Bild? Das sind aktuelle Fragestellungen, mit denen sie
sich befasst. Der andere Arbeitsschwerpunkt, der 1968 in München geborenen Stadtmalerin,
ist die Zeichnung. „Ich habe schon immer gezeichnet.“ In der Kindheit und dann
in Aschaffenburg, wo sie aufgewachsen ist, später an ihrem Studien- und Wohnort
Berlin und jetzt in Gaildorf: „Ich erkunde zeichnend meine Umgebung.“ Sie geht
auf Dorffeste, zu Gemeinderatssitzungen, auf Blueskonzerte. Sie verwendet
Tuschestifte, kann also nicht radieren. Es entstehen mit geübter Hand Miniaturen
mit filigranen Elementen, Ausschnitte aus dem beobachteten Leben. „Ich habe schon immer gezeichnet und ich zeichne
überall.“ Es sind immer Personen, die sie einfängt und charakterisiert. Für sie ist
Gaildorf „neuer und verwirrender als Barcelona. Ich wusste gar nicht mehr, dass
es das gibt. Ein verregneter Sonntagnachmittag. Und es ist überhaupt nichts
los.“ Die Abwesenheit der Großstadtwelt verschafft ihr eine „meditative
Konzentration.“ Ihr Stil hat sich modifiziert, die Farbigkeit der Bilder stark verändert. Die
Struktur der Fachwerkhäuser fließt in ihre Arbeit ein. Das alles wird die
Öffentlichkeit bei ihrer Stadtmalerausstellung sehen. „Unser Bürgermeister“,
sagt sie, unterbricht sich und lacht, „ich sage schon: unser Bürgermeister! Er
vergisst nie zu erwähnen, dass da auch der Weihnachtsmarkt stattfindet.“
Gaildorf
Die Stadt, die Kunst und die Zeit
Gisela Wrede kommt zum Ende: Die 16. Gaildorfer Stadtmalerin bereitet ihre
Abschlussausstellung vor. Das Jahr in der Provinz, sagt sie, habe sie und auch
ihre Kunst verändert. Die 16. Gaildorfer Stadtmalerin sucht ein Bild. Gisela Wrede
kruschtelt hektisch durch die beiden Atelierräume im Alten Schloss, blättert
durch die Leinwände, die an den Wänden lehnen und stolpert fast über eine der
beiden Fotolampen, die sie für Margit Kern aufgestellt hat. Die Haller
Fotografin hilft bei der Bestandsaufnahme: Sämtliche Öl-Malereien, die in diesem
Jahr in Gaildorf entstanden sind, werden professionell fotografiert. Bis zur
Abschlussausstellung soll der Katalog fertig sein. Kennengelernt und gleich
verstanden haben sich die Fotografin und die Malerin bei Gisela Wredes
biografischem Vortrag an der Haller Akademie der Künste. Es gibt auch schon
Skizzen von Margit Kerns Hauskater. „Einen Moment hatte ich wirklich gedacht, ich hätte ein 150 Zentimeter großes
Bild verschlampt“, sagt Gisela Wrede. Ihr ist eingefallen, dass sie das gesuchte
Werk bereits in die Galerie hinaufgetragen hat, um zu sehen, ob sie damit durch
die Tür kommt. Das Bild ist ihr wichtig, es ist quasi ein Gaildorf-Konzentrat.
Die Stadtmalerin malt abstrakt, aber „nicht ohne Quellen“, wie sie betont. Die
Farben, Formen und Strukturen beruhen auf Eindrücken, Erlebnissen und Emotionen,
der Schaffensprozess ist eine Mischung aus Kalkulation und Intuition. Die Quellen mancher Elemente kann sie später wieder herleiten, andere waren
von vornherein verweht – aber als Gedächtnisstützen sieht Gisela Wrede ihre
Bilder ohnehin nicht. Sie können für sich betrachtet oder eben nach
Alltagseindrücken durchsucht und durchforstet werden: hier eine
Fachwerkstruktur, da die Farben der Jahreszeit, in der das Bild entstanden ist,
dort ein Gebäudegrundriss oder eine Straße von oben. Häufig seien auch Landkarten in den Bildern verborgen, sagt sie. Gemeint ist
freilich nicht, was man sich gemeinhin unter Landkarten vorstellt, gemeint ist
Bewegung: Die Bilder enthalten Eindrücke von Gisela Wredes Rund- und
Erkundungsgängen, sie fassen ihre Anwesenheit an den unterschiedlichsten Orten
zusammen – oft, sagt sie, stecken unter einem Bild noch zehn andere. Es ist ihre Art, sich zurechtzufinden. Als Gisela Wrede als Künstlerin nach
Berlin zog, erkundete sie die Stadt per U-Bahn, fleckenweise sozusagen – sie sah
die Stadt nur ausschnittsweise, wenn sie ausstieg und ans Tageslicht kletterte,
der Rest blieb unberührt und unentdeckt. Zu Hause malte und skizzierte sie ihre
Eindrücke, „das, was mir wichtig war“, und schuf sich so ihr eigenes
Berlin-Porträt, lückenhaft, subjektiv, aber auch Stück für Stück genauer und
fundierter. In Gaildorf machte sie es nicht anders. Sie ging umher und schaute, schürfte
sich rein, konstruierte und korrigierte lustige Irrtümer, füllte 20 bis 30
Skizzenbücher, lernte eine völlig neue Welt und auch sich selbst neu kennen. Und
sie gewöhnte sich an, regelmäßig aus dem Fenster zu schauen und stets die
gleichen Motive zu zeichnen. „Zeichnen lernen, heißt sehen lernen“, betont die
Künstlerin; das stets gleiche Motiv in den Blick zu nehmen, schärfe den Sinn für
Details und Veränderung. Verändert hat sich vieles in ihrem Gaildorfer Jahr. Und manches hat sie
schwer überrascht: „Ich habe das Gegenteil von dem erfahren, was man eigentlich
erwarten würde, wenn man von der Großstadt in das kleine Gaildorf kommt“, sagt
Gisela Wrede. Die vermeintlich langweilige Provinz habe sich als positiver
Gegenentwurf zur wuseligen Großstadt entpuppt. Welchen Kontrast sie meint, wird in einer kleinen Zeichnung deutlich, die der
Perspektive nach am Fenster der Stadtmalerwohnung entstanden ist. Sie zeigt von
schräg oben vier Leute, die beieinanderstehen und sich unterhalten. „Die Leute
in Gaildorf bilden Kreise und sprechen miteinander“, sagt Gisela Wrede. Und die
Kreuzberger tun das nicht. In Gaildorf sitze sie mit der Friseurin, dem
Malermeister, dem Bestatter, dem Trödelsammler, dem Revoluzzer, dem Anwalt und
dem Stadtrat in der Kneipe an einem Tisch, und die hätten vielleicht
grundverschiedene Ansichten, „aber sie sprechen alle miteinander“. In Kreuzberg
bleibe man unter sich: Leute mit gleichen Ansichten, gleichen Bekannten,
gleichen Zielen – „und alle lesen die taz“. Wenn man ihr ein Weilchen zuhört,
kommt einem Berlin richtig langweilig vor. Die langweilige Provinz, meint Gisela Wrede, biete Möglichkeiten, die zu
nutzen ihr in Berlin nicht im Traum eingefallen wäre. „Ich war in einem Besen,
ich war bei der 925-Jahr-Feier von Eutendorf-Ottendorf, ich geh zur Stadtkapelle
und hör Blasmusik. Normalerweise sehe ich das nicht, und deshalb erlebe ich es
auch nicht.“ Und das alles sei auch in ihre Bilder eingeflossen. Wenn ihr
Stadtmalerjahr endgültig vorbei ist und sie wieder ihren Kreuzberger Alltag
lebt, dann will sie diese Bilder dort zeigen. Sie sei gespannt, ob sie dem
Berliner Publikum mit ihren Bildern etwas über Gaildorf mitteilen könne. In ihrem Atelier hat sie jetzt noch ein anderes Bild gefunden. Es ist das
erste Ölgemälde, das sie in Gaildorf geschaffen hat. Es ist großformatig,
enthält schmutzig-bräunliche Strukturen, grelle und weniger grelle Flächen. „Da
steckt noch viel Berlin drin“, sagt sie. Außerdem fehlt was: „Ich bin noch nicht
zufrieden damit.“ Sie wird sich nochmals dranmachen. Entweder. Dann wird man es
während ihrer Abschlussausstellung anschauen können. Oder sie packt es weg.
Stadtmalerin präsentiert Ausstellung „Reflektionen“
In abstrakten Gemälden, in Zeichnungen und Texten fand das Gaildorfer Jahr der
Gisela Wrede seinen Niederschlag.
Ein Scheunentor, eine gelbe Hauswand, wo genau, ist nicht
wichtig. Während ihrer Streifzüge und Recherchen in Gaildorf und Umgebung hat
Gisela Wrede Eindrücke gesammelt – Farben, Formen, Strukturen –, die direkt
oder über den Weg einer Zeichnung den Impuls zu Gemälden gaben. Meist verlieren diese ersten Ansätze ihr Eigenleben im Malprozess, der sich
auf der Suche nach spannungsvoller Komposition verselbstständigt. Hinterher –
zum eigenen Erstaunen der Künstlerin (und zur Erleichterung vieler Betrachter) –
sind da und dort doch noch Spuren des Reellen im abstrakten Konzept erkennbar:
Gebäudeumrisse, Fachwerk, das Blockmuster von Feldern, Wald, der Kocher, gar
Klecksografie à la Kerner. „Da kann jeder machen, was er will, und kämpfen mit
sich selbst.“ Das ist Gaildorf, wie diese Stadtmalerin es sieht: die Summe der für sie
interessanten Teile wiegt mehr als das Ganze. Berlin im Fokus führe zu ganz
anderen Resultaten, betont sie. „Reflektion“ mit k nennt Wrede ihre Ausstellung.
Mit dem an sich korrekten x weise das Wort nach ihrem Geschmack zu sehr in
Richtung von Physik, während sie selbst auf die Doppelbedeutung des
Reflektierens hinziele, im Sinne des Nachdenkens über die Funktion aktueller
abstrakter Kunst und der Wiedergabe und Umwandlung des Wahrgenommenen. Auf der Vernissage trachtete Martin Zecha als Laudator Wredes Malerei
einzubetten in die über 100 Jahre alte, bewegte Geschichte der abstrakten Kunst
von Wassily Kandinsky bis zum Heute. „Da kann jeder machen, was er will, wie er
will und kämpfen mit sich selbst, um spannungsgeladene Harmonie zu finden.“ Nur
kurz – da sie schon in der Kulturschmiede Häberlen vorgestellt worden waren –
hielt sich Zecha bei den Zeichnungen auf, die Wrede auf Veranstaltungen und mit
Blick aus ihrer Turmwohnung skizziert hatte. Sogar schreibend hat die Stadtmalerin Protokoll geführt. Bei der
Ausstellungseröffnung überraschte Gisela Wrede die Besucher mit dem Vortrag
dreier kurzer Texte, die nun in der Ausstellung ausliegen: über den Ort und
seine Bewohner, über das Alte Schloss und über den Gasthof zum Löwen (in dem sie
ihre erste Nacht im Ort verbrachte). Nach dem bürgermeisterlichen Gruß Frank Zimmermanns, in dem die zahlreichen Besucher zu ihrem Kommen beglückwünscht wurden, gab es mit „Alberta“ und „Lawdy, Miss Clawdy“ Blues vom Feinsten von Werner Eichele (Piano) und dem „Joe Cocker von Gaildorf“ Bernhard Fürter (Gesang). Zecha hatte sie angekündigt als „Members of the oldest Blues Boygroup in this area“ – Perpetuum Mobile eben.
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